…oder: Ein reichlich merkwürdige Begegnung, die ein Rettungsdienstler am Eröffnungstag des Europa-Park in einer Toilette hatte

Die Arena of Football im Europa-Park.

Die Arena of Football im Europa-Park.

Nun war ich auch dieses Jahr wieder zur Saisoneröffnung im Europa-Park, allerdings rechnete ich nicht damit, eine Begegnung dieser Art zu haben. Was war passiert? Ich gehöre zu den Gästen, die ihren Aufenthalt im Europa-Park voll genießen wollen. Das heißt, außer einer Umhängetasche für Filmkamera und Fotoapparat schleppe ich eigentlich nichts mit mir herum. Dadurch bin ich quasi gezwungen, mir Essen oder Erfrischung an einer der vielen Stände im Europa-Park zu holen – was wirklich kein Problem ist, denn Stände und Restaurants gibt es dort wahrlich genug.

An diesem Tag war es noch nicht ganz Mittag, als ich beschloss, mir etwas zu trinken zu besorgen, wobei ich gezwungen war, auf das als “weiblich” propagierte “Coke Light” auszuweichen, das extrem männliche “Coke Zero” gibt es dort nämlich nicht. Und während ich noch darüber nachdachte, warum “Coke Light” weiblich und “Coke Zero” männlich sein soll (liebe Frauen, hier bitte einen “männlicher-IQ-Witz” Eurer Wahl einfügen), steuerte ich den nächsten Getränkestand an, die “Arena of Football” im Englischen Themenbereich. Fußball ist jetzt nicht so mein Ding und selbst meine brasilianische Brieffreundin hat vor, während der diesjährigen WM aus dem Land zu fliehen, aber die “Sports Bar” in der “Arena of Football” besuche ich gern wegen den Getränken und den kleinen Snacks (und den lustigen Panini-Sammelalben aus den 1980er Jahren, die dort in die Tische eingearbeitet – was für Frisuren wir damals hatten!).

Allerdings merkte ich an diesem Tag, dass ich wohl zuerst einen anderen Gang machen sollte, bevor ich wieder was trinke: Meine Blase war voll. Aber kein Problem, natürlich hält die “Arena of Football” auch Toiletten vor. Diese sind – wie übrigens alle Toiletten im Europa-Park – dem Thema angemessen gestaltet, die Vorräume zeigen riesige Fußballkarikaturen, die allerdings vom Humor her aus den 1970er Jahren stammen (unter der Überschrift “Frauenfußball” sieht man dort beispielsweise eine Riege Frauen auf der Trainerbank sitzen, die ihre Köpfe in diesen 1970er-Jahre-Astronautenhelm-Haartrockungshauben stecken haben und sich gerade die Fingernägel machen lassen). Die Karikaturen setzen sich in den Toiletten fort (wobei ich natürlich nur die Herrentoilette beurteilen kann) und in den Pissoirs der Herrentoilette ist ein kleines Fußballtor eingearbeitet, damit man beim Verrichten des “kleinen Geschäfts” immer schön in die Mitte zielt.

So weit, so gut. Noch war nichts bemerkenswertes passiert. Ich war allerdings gerade damit fertig, mich als Torschützenkönig zu betätigen und auf dem Weg zum Waschbecken, um mir die Hände zu waschen, als ich aus einer der Toilettenkabinen einen unmenschlichen Schrei und ein Rumpeln vernahm. Und ich sah ganz deutlich, dass die Wände der äußeren Kabine wackelten. Dieser Schrei konnte nur eins bedeuten: Jemand in dieser Kabine litt Schmerzen. Richtige Schmerzen. Und mein Gehirn spielte spontan eine Fanfare und eine mit Hall unterlegte Stimme rief: “Das ist ein Job für Rescue Man!” Ja, ich weiß, mein Gehirn übertreibt es gern mit dem Pathos. Äußerlich hingegen blieb ich ganz ruhig.

“Ist alles okay?”, war die Frage, die ich in Richtung der Kabine stellte, aus der jetzt nur noch ein Jammern und Klagen kam. Blöde Frage, ich weiß, der Schrei deutete ja schon an, dass eben nicht alles okay war, aber irgendwie muss man ja das Eis brechen und eine vernünftige Konversation anfangen. Die Antwort auf meine Frage war sowas wie: “Das tut weh!” Ich beschloss, für klare Fronten zu sorgen, auch wenn ich zu Beginn eines Gesprächs mit einem Fremden damit nicht gerne angebe: “Ich bin vom Rettungsdienst. Kann ich Ihnen helfen?” Dazu machte ich ein paar Schritte auf die Kabine zu. Ich hörte ein Klopfen und Kratzen an der Tür, dann hörte ich, wie der Mann, der sich hinter der Tür befand, das Schloss öffnete. Mehr passierte nicht.

“Äh… ich komme jetzt rein”, sagte ich. Klingt wie bei der Polizei. Oder beim CSI. Ich hätte nur noch “Miami Dade Police!” dazu sagen müssen, dann hätte es gepasst. Ich stupste die Tür vorsichtig an und durch den sich öffnenen Spalt erkannte ich, dass der Mann sich offenbar irgendwie vor der Toilettenschüssel befinden musste. Also hielt ich die Tür fest, schob meinen Kopf durch den Spalt und lugte ums Eck.

Ich weiß, in dem Moment wäre die juristisch korrekte Vorstellungsformel gewesen: “Hallo, mein Name ist … . Ich bin ausgebildeter Rettungsassistent. Darf ich Ihnen helfen?” Aber angesichts dessen, was ich sah, verzichtete ich auf irgendwelche Vorstellungsfloskeln und beschloss, gleich zum Punkt zu kommen. Denn der Mann, der die Toilette benutzt hatte, kniete quasi auf allen Vieren vor der Schüssel. Die Hose – nebst Unterhose – hing an seinen Knöcheln und er hatte einen roten Kopf. Als er diesen drehte, blickte ich in ein schmerzverzerrtes, verschwitztes Gesicht mit roten, tränenunterlaufenen Augen. Wie gesagt, ich verzichtete darauf, mich vorzustellen, sondern kam gleich zum Punkt: Ich fragte, was passiert sei.

Nun.

Jeder kennt doch feuchtes Toilettenpapier. Und eigentlich jeder, der schon mal im Europa-Park war, hat möglicherweise diese Sprühspender gesehen, die in den Kabinen neben den Kloschüsseln hängen, mit denen man das Toilettenpapier einsprühen kann. Nun lasst mich Euch eines sagen: Feuchtes Toilettenpapier und eingesprühtes Toilettenpapier – das ist NICHT dasselbe! Die Spender enthalten ein Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis, das man dazu verwendet, vor dem Toilettengang die Toilettenbrille abzuwischen und damit zu desinfizieren (man weiß ja nie, was der “Vorgänger” auf der Toilette von persönlicher Hygiene hält oder ob er sowas überhaupt kennt). Es ist nicht dazu geeignet, sich nach dem Stuhlgang den Hintern abzuwischen. Nun gut, es ist nicht schlimm, wenn man beim Desinfizieren der Klobrille vielleicht ein paar Tropfen auf die Haut kriegt. Aber der Darmausgang ist nun mal mit extrem vielen Nervenendigungen versehen und entsprechend empfindlich.

Der Mann in der Toilette hatte also sein Geschäft verrichtet, dann hat er zwei oder drei Blatt Toilettenpapier genommen, ordentlich mit Desinfektionsmittel getränkt und sich den Hintern damit abgewischt. Erschrocken durch den plötzlichen Schmerzreiz sei er aufgesprungen, wobei die an seinen Knöcheln hängende Hose seine Beine blockierte und es ihn der Länge nach hinschlug. Meine Frage, ob er sich bei dem Sturz verletzt habe, verneinte er. Er sei gegen die Tür der Kabine geprallt und daran heruntergerutscht, bis er in der Position angekommen war, in der er sich nun befand.

Keine Frage, dem Manne musste geholfen werden. Und als erfahrener Rettungsdienstler stellte ich mir die in der Situation einzig vernünftige Frage: “Was würde McGyver tun?” Nun sind die Toiletten in der Sports Bar der “Arena of Football” immer noch mit Papierhandtüchern ausgestattet, was die Situation rettete. Ich nahm ein paar Blatt der Papierhandtücher, tränkte sie mit Wasser und reichte sie dem armen Opfer. Er reinigte die empfindlichen Stellen vom Alkohol, während ich meinen ursprünglichen Plan weiter verfolgte: Ich ging ans Waschbecken, um mir die Hände zu waschen. Als ich fertig war, kam der Mann – mit hochgezogener Hose – aus der Kabine. Nach ein paar Worten des Danks meinte er: “Vom Rettungsdienst, ja? Dann habt Ihr ja jetzt was zu lachen am Rettungsdienststammtisch!” Vermutlich sei das so, entgegnete ich und hakte nach: Ob ich das Erlebnis denn weitererzählen dürfte. Auch vielleicht öffentlich. In einem Blogbeitrag oder so. “Von mir aus”, sagte der Mann und konnte schon wieder herzlich lachen, “lassen Sie halt meinen Namen raus. Es muss keiner wissen, dass ich nicht weiß, wofür die komischen Sprühdinger eigentlich gut sind.” Keine Namen, das versprach ich. Außerdem wisse er ja jetzt Bescheid. Aber, so hakte ich nach, ob ihm denn die Bilder auf dem Sprühspender nicht aufgefallen seien? Bild 1 und 2 zeigten, wie man das Toilettenpapier einsprüht, Bild 3 zeigte aber eindeutig eine Hand, die eine Klobrille abputzte. “Wissen sie”, war seine Antwort, “auf das dritte Bild habe ich gar nicht geachtet.”

Er dankte nochmals, verabschiedete sich und ging. Nachdem er gegangen war, fielen mir zwei Dinge auf: Erstens kann ich seinen Namen hier gar nicht nennen, er hat ihn mir nämlich gar nicht gesagt. Zweitens fiel mir erst jetzt auf, dass offenbar niemand sonst von diesem kleinen Drama Notiz genommen hatte. Na ja, das war sicherlich auch ganz im Sinne des unbekannten Toilettenbenutzers.

Ich jedenfalls ging die Stufen von den Toiletten hinab in die Sports Bar, um mir eine besonders männliche Coke Light zu bestellen. Das hatte ich mir verdient, nach dieser Rettungsaktion. Schade, dass es erst Mittag war, sonst hätte ich als Abschluss noch in den Sonnenuntergang reiten können. Aber reiten kann ich ja auch nicht.

“I’m a poor lonesome Rescuer, I’ve a long, long way from home…”